Samstag, 29. Juni 2019

Museum für Kunst und Geschichte

Manufaktur des Klangs. 2000 Jahre Orgelbau und Orgelspiel

Foto: Kess van der Veen
Vom 5. Juli bis zum 3. November 2019 findet eine interessante Ausstellung im Hamburger MKG statt, die das Museum für Kunst und Gewerbe im Rahmen des Hamburger Orgeljahres zum 300. Todestag von Arp Schnitger zeigt, einem der weltweit berühmtesten Orgelbauer. Mit über 300 Orgeln besitzt Hamburg eine einzigartige und vielfältige Orgellandschaft. Außer in den Kirchen der Stadt befinden sich zahlreiche weitere Instrumente in Schulen, in der Elbphilharmonie, im Sendesaal des NDR, in der Staatsoper, in der Universität und sogar in den Justizvollzugsanstalten. Zum 300. Todestag Arp Schnitgers (1648–1719), einem der weltweit berühmtesten Orgelbauer, hat die Stadt Hamburg 2019 unter dem Motto Hamburg zieht alle Register ein Orgeljahr ausgerufen. Konzerte und Veranstaltungen in der gesamten Stadt sowie eine große Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (MKG) machen neugierig auf das imposante Instrument und seine Geschichte. Die Ausstellung Manufaktur des Klangs. 2000 Jahre Orgelbau und Orgelspiel lädt dazu ein, die gestalterischen, baulichen und technischen Finessen des Wunderwerks Orgel kennenzulernen. Im Mittelpunkt der Schau stehen Orgelbau und Orgelmusik, die von der UNESCO 2017 in die Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufgenommen wurden. Über 30 Exponate, darunter 14 historische Instrumente und Rekonstruktionen laden die Besucher*innen ein, spielerisch in den Kosmos Orgel einzutauchen. Wie funktioniert eine Orgel eigentlich? Was passiert, wenn man eine Taste drückt? Wo kommt der Orgelwind her? Was sind Register? Wie klingen verschiedene Orgelpfeifen? Diese und viele andere Fragen beantwortet die Ausstellung anhand von Modellen, interaktiven Displays, medialen Präsentationen und Filmen, die die geheimnisvolle Technik des Instruments sichtbar machen. An einem eigens für die Ausstellung gebauten Modell können die Gäste das Zusammenspiel von Balg, Windlade und Pfeife selbst versuchen und Klänge erzeugen. Ein Orgelsimulator bietet die Gelegenheit, selbst Tasten und Pedale zu bedienen und das sogenannte „Registrieren“ auszuprobieren. Inspiriert von Fotografien spektakulärer Orgelbauten können sogar Besucher*innen ihre ganz eigene Orgel mit Hilfe einer VR-Brille entwerfen.

Hauptkirche St. Jacobi, Hamburg © MKG

Gladiatorenkämpfe und Hofzeremoniell

Für den Friseursalon seines Vaters im antiken Alexandria erfand der Grieche Ktesibios vor über 2000 Jahren einen auf- und abfahrbaren Spiegel. Technischer Clou: die Druckpumpe. Diese geniale Erfindung ist die Voraussetzung für den Bau eines Instruments namens organon hydraulikon, das Töne hervorbringt. Wie dieses hydraulische Pumpwerk funktionierte, zeigt in der Ausstellung der Nachbau einer antiken Wasserorgel („Hydraulis“) aus dem 3. Jahrhundert. Die Orgeln jener Zeit waren mit einer Höhe von bis zu zwei Metern noch vergleichsweise klein und transportierbar. Historische Quellen und archäologische Funde zu Orgeln aus dem Altertum belegen die große Popularität des Instruments. Während im antiken Griechenland vor allem musikalische Orgelwettbewerbe stattfanden, diente die Orgel in der römischen Antike eher zur musikalischen Umrahmung von Sportveranstaltungen – wie den berühmten Gladiatorenkämpfen – und erklang in den Villen wohlhabender Römer*innen bei gesellschaftlichen Empfängen und Gastmahlen. Nach dem Untergang des römischen Reiches im 5. Jahrhundert blieb das Wissen über den Orgelbau im Byzantinischen Kaiserreich erhalten. Dort begleiteten Instrumente wie die Doppelorgel, deren Nachbau in der Ausstellung zu sehen ist, öffentliche Veranstaltungen wie Pferderennen und wurden beim Hofzeremoniell gespielt.

Musikinstrumentenmuseum der Universität Leipzig, Markus Brosi

Einzug in die Kathedralen

Erst im Mittelalter hielten Orgeln durch geistliche Gelehrte Einzug in christliche Kathedralen, wo man sie zur musikalischen Ausgestaltung des liturgischen Programms einsetzte. Bei den immer noch relativ kleinen, beweglichen Orgeln dieser Zeit handelte es sich um transportfähige Standinstrumente, sogenannte ‚Positive‘ oder noch kleinere ‚Portative‘, die beim Spielen auf den Knien gehalten oder mit einem Band über die Schulter gehängt wurden. Wie so ein Portativ ausgesehen haben könnte, zeigt die Ausstellung anhand des Nachbaus eines „Portativ Organetto“ nach der Konstruktionsvorlage des Universalgelehrten Arnault von Zwolle (um 1400–1460). Der niederländische Orgelbauer Winold van der Putten orientierte sich bei der Rekonstruktion auch an Darstellungen auf Gemälden flämischer Meister wie Jan Van Eyck (1390–1441) oder Hans Memling (1433–1494). Die Pfeifen mittelalterlicher Orgeln hatten in der Regel denselben Durchmesser. Mit welchen Gegenständen diese damals mitunter vermessen wurden, macht eine weitere rekonstruierte Orgel mit sogenannter Taubenei-Mensur in der Ausstellung deutlich.

Foto: Georg Ott


Statussymbol Orgel

Großangelegte Orgelbauprojekte dienten im Barock der Demonstration von Reichtum und Macht, auch innerhalb der Kirche. Es entstanden immer imposantere und prächtigere Instrumente. In Europa bildeten sich jetzt regionale Baustile heraus. Neben den monumentalen Kirchenorgeln verbreiteten sich auch die kleineren Orgeltypen weiter. Sie wurden vom Adel und dem Bürgertum als repräsentative Hausinstrumente geschätzt. Davon zeugen eine ausgestellte Prozessionsorgel, die zu den wertvollsten erhaltenen Trage-Orgeln des italienischen Barock gehört, und eine Kabinettorgel aus der Werkstatt von Johannes Stephanus Strümphler (1736–1807) in Amsterdam. Ein echter Blickfang aus der Zeit des Rokoko ist das mit vergoldeten Schnitzereien versehene Orgelpositiv des böhmischen Instrumentenmachers Johann Rusch (1728–1791). Seltene originale historische Quellen dokumentieren die Entwicklung des Orgelbaus in dieser Zeit. Zu sehen sind eines von weltweit zwei erhaltenen Exemplaren des „Spiegel der Orgelmacher und Organisten“ von Arnolt Schlick (vor 1460–nach 1521) von 1511, die barocke Instrumentenkunde „Syntagma musicum“ von Michael Praetorius (1571–1621), das umfassende musiktheoretische Werk „Musurgia universalis“ des Universalgelehrten Athanasius Kircher (1602–1680) sowie das mit aufwendigen Stichen illustrierte orgelbauerische Standardwerk „L'Art du facteur d'orgues“ von Dom François Bedos de Celles (1709–1779) aus dem 18. Jahrhundert.

Foto: Georg Ott
Arp Schnitger und der norddeutsche Orgelbau

Hamburg entwickelte sich in dieser Zeit zu einer der bedeutendsten Orgelmetropolen Europas. Die vermögende Kaufmannschaft beauftragte die besten Orgelbauer und gönnte sich wahre Luxusorgeln. Der Orgelbauer Arp Schnitger markierte mit seinen ausgereiften, klangmächtigen Instrumenten den Höhepunkt der barocken norddeutschen Orgelbautradition. Seine Werkstatt baute insgesamt 170 Orgeln, von denen heute noch 47 erhalten sind. Seine 1687 fertig gestellte Orgel der Hamburger St. Nikolai-Kirche, die beim Stadtbrand 1842 zerstört wurde, war bei ihrer Fertigstellung mit 67 Registern und über 4000 Pfeifen die größte Orgel der Welt und machte Schnitger überregional bekannt. Heute ist die 1693 errichtete, mehrmals restaurierte Orgel in der Hamburger Hauptkirche St. Jacobi mit 43 Registern die größte klingende Barockorgel des norddeutschen Typs. Ein früherer Spieltisch, dessen Registerzüge die geschnitzten Porträts bekannter Orgelfreund*innen aus der Zeit zieren, erzählt einen Teil ihrer bewegten Geschichte.

Foto: RGZM, Rene Müller

Die „deutsche Orgelbewegung“ um Hans Jenny Jahnn

Nachdem sich bereits Albert Schweitzer (1875–1965), der ausgebildeter Organist war, vor dem Ersten Weltkrieg für eine Neuorientierung im Orgelbau eingesetzt hatte, wurde Hamburg in den 1920er Jahren zum Zentrum einer später als „deutsche Orgelbewegung“ bezeichneten Reformbestrebens. Kopf der Bewegung war der Hamburger Schriftsteller Hans Henny Jahnn (1894–1959), der selbst auch mehrere Orgeln entwarf und sich erfolgreich für den Erhalt der Schnitger-Orgel in der Hamburger St. Jacobi-Kirche einsetzte. Diese Barock-Orgel mit ihrem „ehrlichen“, hellen Klang war für Jahnn ein Gegenentwurf zum damals vorherrschenden „symphonischen“ Orgeltypus, dessen romantischen Klang er als zu überladen, dunkel und opulent empfand. Ein eigens für die Ausstellung produzierter Film lässt die von Jahnn entworfene Orgel aus der Winterhuder Heinrich-Hertz-Schule im MKG erklingen.

© Hauptkirche St. Jacobi, Hamburg/Foto: MKG

Faszination Orgeldesign

Bis heute hat die Orgel nichts von ihrer Faszination eingebüßt, weltweit entwerfen Orgelbauer*innen, Architekt*innen und Designer*innen immer wieder spektakuläre Instrumente. Eine Fotowand in der Ausstellung präsentiert ausgewählte Orgelbauten aus Geschichte und Gegenwart, die die enge Beziehung des Orgelbauhandwerks zu den Disziplinen Design und Architektur veranschaulichen. Prominentestes Beispiel dafür ist wohl die aufregende Gestaltung des Stararchitekten Frank Gehry (*1929) für die 2004 fertiggestellte Orgel der Walt Disney Concert Hall in Los Angeles/USA. Ob traditionell oder futuristisch – die unterschiedlichen Konstruktionsweisen dienen auch der Inspiration der Besucher*innen, die sich mithilfe einer VR-Brille selbst als Orgelbauer*innen versuchen können. Die Tatsache, dass Orgeln fast immer Unikate sind, die für eine ganz bestimmten Raum als Teil einer Architektur konzipiert sind, setzt den Orgelbauermeister*innen der Gegenwart (fast) keine Grenzen. Das beweisen eindrucksvoll spektakuläre Orgelbauten der jüngeren Vergangenheit, wie die mit rund 5000 Pfeifen ausgestatteten Orgel der 2016 eröffneten Elbphilharmonie, die die Gäste in einer medialen Präsentation rund um das faszinierende Instrument in Hamburgs berühmtesten Konzerthaus erkunden können.

Arp Schnitger (1648-1719), Entwurfszeichnung einer Orgel für die Reformierte Kirche in Altona, um 1686, aquarellierte Federzeichnung, Staatsarchiv Hamburg, Foto: Staatsarchiv Hamburg

Leihgeber*innen: Catalina Vicens, Basel | Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Berlin | Johannes Klais Orgelbau GmbH & Co. KG, Bonn | Marienbibliothek Halle, Halle an der Saale | Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg | Elb-philharmonie Hamburg | Hans Henny Jahnn Verein e. V., Hamburg | Hauptkirche St. Jacobi Hamburg | Orgelstadt Hamburg e. V. | Römerkastell Saalburg, Bad Homburg | Georg Ott, Kirchensittenbach | Musikinstrumentenmuseum der Universität Leipzig | Römisch-Germanisches Zentralmuseum, Leibniz-Forschungsinstitut für Archäologie, Mainz | Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland | Aug. Laukhuff GmbH & Co. KG, Weikersheim | Winold van der Putten, Winschoten



Die Ausstellung ist eine Kooperation des MKG mit der Hochschule für Musik und Theater Hamburg in Zusammenarbeit mit Orgelstadt Hamburg e. V. und dem Musikfest Bremen. Unterstützt wird das Projekt außerdem durch die enge Zusammenarbeit mit Rudolf von Beckerath Orgelbau, Hamburg, Johannes Klais Orgelbau GmbH & Co. KG, Bonn, der MultiMediaKontor Hamburg GmbH sowie der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland.


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